Die Postkorbübung ist zusammen mit der Gruppendiskussion eine der am weitesten verbreitetsten Übungen in einem Assessment Center. Unter der Postkorbübung versteht man alle Übungen, bei denen es um das Filtern und Priorisieren einer Fülle von verschiedenen Informationen geht. Der Name leitet sich von einem vollen Posteingangskorb ab, in dem verschiedene Nachrichten, Emails, Aufgaben und Anfragen liegen. Das ist eine in der Praxis ständig präsente Situation, in der man filtern muss, was relevant ist, und welche Inhalte man zuerst bearbeitet.
Für die Postkorbübung gibt es viele unterschiedlichen Varianten, vom tatsächlichen Posteingang mit Nachrichten, bis zur Kombination aus Terminen, Gesprächsnotizen und spontanen Anrufen während der Bearbeitung. Immer geht es darum Wichtiges von Unwichtigem zu trennen und daraus die richtigen Entscheidungen abzuleiten.
Kernelemente der Postkorbübung sind Zeitdruck, eine Fülle verschiedener Informationen sowie ein Engpass irgendeiner Art. Der Engpass liegt meist im fiktiven Terminkalender. So kann es zu viele Termine oder zu bearbeitende Aufgaben geben, als in den Tag passen. Als Kandidat bist Du dann gezwungen zu entscheiden, welche Aufgaben Du bearbeitest und an welchen Terminen Du teilnimmst, und wie Du mit den übrigen umgehst.
Die Beobachter achten vor Allem darauf, wie Du vorgehst und nach welchen Kriterien Du entscheidest. Der Weg ist hier das Ziel. Über Dein Vorgehen in der Postkorbübung leiten die Recruiter dann ab, wie Du Dich bei Terminkonflikten, einer hohen Arbeitsbelastung oder bei unwichtigen Anfragen im tatsächlichen Arbeitsalltag verhalten würdest. Da das Szenario einer Postkorbübung zwar zugespitzt, aber sehr eng an die Praxis angelehnt ist, ist die Übung im Gesamtkontext des Assessment Centers sehr wichtig. Zum Glück ist sie auch eine der Übungen, auf die Du Dich durch Übung sehr gut vorbereiten kannst.
Im Ablauf der Übung geht es mit dem Sichten und ggf. Lesen der Unterlagen los. Sei hier nicht überrascht einen dicken Stapel Papier überreicht zu bekommen. Das Briefing ist, den Stapel und die enthaltenen Informationen und Aufgaben zu bearbeiten und zu entscheiden, ob, wann und wie Du sie bearbeitest. Das „ob“ ist hier sehr wichtig, da es in den Briefings meist nicht explizit genannt wird. Nicht alles, was man als Aufgabe bekommt, muss auch bearbeitet werden. Diese Entscheidung gilt es innerhalb der Übung zu treffen.
Der Zeitrahmen für die Übung liegt bei ca. 30-60 Minuten. Um zusätzlichen Druck aufzubauen, um als zusätzliche Eigenschaft Stressresistenz zu testen oder auch nur, um die Übung realistischer zu gestalten, ist die Zeit oft zu knapp bemessen sein, um alles komplett zu lesen. Daher empfehlen wir Dir in einem ersten Durchgang alle Unterlagen grob zu überfliegen und möglichst schnell Unwichtiges auszusortieren. Dazu gehören Newsletter, Brancheninfos und Analysen (es sei denn, eine der wichtigen Aufgaben beziehen sich darauf), aber auch nicht eilige, persönliche Korrespondenz oder nicht eilige Anfragen nach Informationen.
Die verbliebenen Punkte solltest Du in einem zweiten Schritt an Hand von zwei Kriterien bewerten: Wichtigkeit und Dringlichkeit. Dazu bietet sich die Einordnung in eine Vier-Felder-Matrix an. Auf der einen Achse trägst Du zunehmende Dringlichkeit, auf der anderen zunehmende Wichtigkeit ab, und unterteilst beide Achsen in zwei Abschnitte: hoch und niedrig. Daraus ergeben sich dann insgesamt vier Quadranten:
In der Regel musst Du eine Rangfolge Deiner Tätigkeiten („Was machen Sie zuerst? – Was danach?“) oder einen ausgefüllten Terminkalender („Wann machen Sie was?“) abgeben, aus dem Deine Priorisierung hervorgeht. Beides sind nur unterschiedliche Darstellungsweisen der gleichen Bewertung. Diese Bewertung erfolgt innerhalb der 4-Felder-Matrix. Ordne jedes verbliebene Element möglichst zügig einem der vier Quadranten zu. Dafür musst Du nicht jede Email komplett lesen, sondern lediglich schnell erfassen, was der Absender von Dir möchte. Hintergrundinformationen sowie Deine ersten Lösungsideen kannst Du zunächst ignorieren. Wichtig ist allein die Zuordnung in den richtigen Quadranten.
Wenn alle Einzel-Inhalte Deines Posteingangs zugeordnet sind, kannst Du beginnen Deinen Terminkalender zu füllen, bzw. Deine Rangliste zu schreiben. Ganz oben auf der Liste, bzw. als erste Tätigkeiten in Deinem Kalender trägst Du die Posten ein, die sowohl wichtig, als auch dringend sind.
Wichtig bedeutet, dass von der Aufgabe viel abhängt. Das können ein signifikanter Umsatz für das Unternehmen, die Abwendung eines großen Risikos oder die Einleitung einer strategisch wichtigen Kooperation sein. Dringend bedeutet, dass die Aufgabe Deine unmittelbare Aufmerksamkeit erfordert, bzw. noch heute bearbeitet werden muss und nicht ohne Konsequenzen um ein paar Stunden oder Tage verschoben werden kann.
Beschränke Dich zunächst ausschließlich auf die Punkte, die beide Eigenschaften aufweisen. Erst wenn alle Punkte zugeordnet sind, widmest Du Dich den Punkten in den anderen Quadranten. Alle Punkte im Quadranten „nicht dringend, nicht wichtig“ ignorierst Du komplett. Keinen dieser Punkte nimmst Du in Deinen Kalender oder Deine Rangliste auf. Das sind alles Punkte, die im Zweifel unbearbeitet bleiben.
Schwieriger wird es bei den zwei Quadranten „wichtig & nicht dringend“ und „nicht wichtig & dringend“. Die Abwägung fällt hier etwas schwerer und können je nach persönlicher Einstellung abweichen, oder werden per Einzelfall entschieden. Dringend, aber nicht wichtig kann z.B. eine Telefonnachricht mit Bitte um schnellen Rückruf sein, bei dem Du nicht weißt, worum es geht. Wichtig, aber nicht dringend kann z.B. der lange geplante, aber bislang noch nicht getätigte Akquise-Anruf bei einem großen potentiellen Neukunden sein. Welche dieser beiden Actions ist wichtiger?
Wir empfehlen beide Quadranten detaillierter in Augenschein zu nehmen, und die einzelnen Punkte gegeneinander abzuwägen, und einen Mix aus beiden Quadranten zu bearbeiten. Auf keinen Fall solltest Du pauschal „dringend“ über „wichtiger“ stellen. Dabei würdest Du Deine Zeit nicht effektiv einsetzen, und der wichtige Anruf beim Neukunden wird niemals passieren, da irgendetwas immer dringender erscheint.
Aber auch der umgekehrte Fall ist gefährlich. Wenn Du immer nur die „wichtigen“, aber nicht die „dringenden“ Punkte bearbeitest, bleibt ein Großteil Deiner Inbox unbearbeitet. Im Zweifel sollte „wichtig“ sich gegen „dringend“ durchsetzen, aber auch „dringende“ Punkte sollten bearbeitet werden. Du umgehst das durch Blöcke in Deinem Kalender für eben diese Tätigkeiten. Plane Zeit für den wichtigen, aber nicht dringenden Anruf beim Kunden gleich am Vormittag ein, und wenn das erledigt ist, plane ebenfalls eine Stunde am Nachmittag für die weniger wichtigen, aber dringenden Rückrufe ein. So sieht man Deine Priorisierung auf die wichtigen Dinge, ohne dass die dringenden komplett runterfallen.
Dringende, aber nicht wichtige Punkte bieten sich auch dafür an, sie entweder an Mitarbeiter zu deligieren, oder aber freundlich abzusagen oder ein Alternativangebot zu machen. Grundsätzlich sind in der Postkorbübung kreative Lösungen erwünscht! Erfinde im Notfall Mitarbeiter oder Kollegen, auf die Du einzelnen Aufgaben in vernünftigem Maße übertragen kannst.
Beauftrage externe Dienstleister mit zeitfressenden, aber einfachen Aufgaben oder verschiebe bereits geplante Termine auf die Folgewoche. So kann ein Taxifahrer einen dringenden Botengang übernehmen, Dein fiktiver Sohn heute ausnahmsweise mal den Wocheneinkauf für die Familie übernehmen (und Dir somit eine zusätzliche Stunde im Büro verschaffen) oder Deine Kollegin Dich im Meeting vertreten. Solche Ansätze kommen im Alltag täglich vor und helfen Dir nicht nur bei der Lösung von Zeitkonflikten in der Postkorbübung, sondern mit Kreativität punktest Du auch bei den Beobachtern.
Gerne werden auch persönliche Aufgaben in die Postkorbübung integriert. Auch das entspricht durchaus der Praxis. Dazu gehören beispielsweise private Termine am Abend, zu denen man rechtzeitig aus dem Büro muss, der Hochzeitstag mit der Frau, für die man noch einen Blumenstrauß organisieren muss oder die Theateraufführung der Tochter am Nachmittag in der Schule. Diese Termine solltest Du als wichtig einstufen! Die Beobachter erwarten keinen Verzicht auf ein privates Leben, vielmehr geht es darum, wie Du mit den Konflikten umgehst. Bestelle Dir z.B. den Blumenstrauß ins Büro oder bitte Deine Kollegin Euer gemeinsames Meeting vorzuziehen, damit Du das Theaterspiel Deiner Tochter sehen kannst. Ein privates Mittagessen mit einem Freund dagegen solltest Du besser absagen oder verlegen, um Kompromissbereitschaft zu zeigen.
In jeder Postkorbübung wird es einen Konflikt mehrerer gleichbedeutender Posten geben. Dass gehört dazu, und oft gibt es dabei auch kein richtig oder falsch. Treffe bewusst eine Entscheidung, und versuche sie zu begründen. Welche Begründung Du wählst ist dabei zweitrangig, nur ein „einen Termin musste ich ja absagen“ kommt sicher nicht gut. Sehr gut eignet sich immer die Frage nach der Effektivität: „Wo oder mit welcher Tätigkeit kann ich den größten Unterschied machen?“.
Dein Ergebnis musst Du im Anschluss an die 30-60 Minuten Bearbeitungszeit präsentieren und verteidigen. Die Beobachter werden Dich dabei fragen, warum Du so entschieden hast, bzw. wie Du zu dem Ergebnis gelangt bist. Lege hier Deine Kriterien offen, und wäge nachvollziehbar zwischen Wichtigkeit und Dringlichkeit ab. Je nachvollziehbarer und ergebnisorientierter Dein Weg ist, desto erfolgreicher wirst Du bei der Postkorbübung abschneiden.